Mein 1. Halbmarathon
- Unknown Diarie
- 10. Nov. 2024
- 8 Min. Lesezeit
(Es handelt sich hier um Teil 2) Liebes Tagebuch,
da war er nun, der „große“ Tag, auf den ich mich semi gut vorbereitet hatte. So langsam war ich ein bisschen aufgeregt. Das wurde nicht besser, als ich direkt vor Ort war. Wahnsinn wie viele Menschen dort waren. Ich muss dazu sagen, dass an diesem Tag nicht nur Halbmarathonläufer vor Ort waren, sondern auch Marathonläufer, 4Km-Läufer, 10Km-Läufer, Inline-Skates-Fahrer und jede Menge Freunde, Familie und Co, die am Rand standen und anfeuerten. Ich selbst hatte auch meinen eigenen kleinen Fanclub dabei. Meine Mama, meine Schwägerin und mein Neffe waren da. Das fand ich persönlich besonders schön. Ich war richtig gerührt, dass sie sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten. Als ich mich für meinen eigenen Start langsam vorbereitete, kam der erste Marathonläufer ins Ziel. 2:30 Uhr für 42 Km – WOW. Er wurde mit großem Applaus begrüßt. Und ja, ich war beeindruckt. Mein Ziel war es 2:15 Uhr für 21 Km zu brauchen und dieser Mann rannte einfach mal eben so das Doppelte in fast genau derselben Zeit. Puh – Ok, dass fühlte sich mal kurz „komisch“ an, jedoch bin ich mit einem anderen Ziel hingefahren, dementsprechend war es dann auch wieder ok. „Dabei ist alles“. Wer kann schließlich von sich behaupten Halbmarathon gelaufen zu sein?

Nachdem ich meinen Kumpel gesucht und gefunden, meine Startnummer angebracht und mir von jedem noch mal eine dicke Umarmung abgeholt habe, bewegte ich mich Richtung Start. Meine (Start)Nummer zum Glück war die 22.444. Mega cool, so fand ich. Es gab unterschiedliche Gruppierungen, je nach Zielzeit. Mein Kumpel und ich gruppierten uns in der Sparte bei 2:15 Uhr ein. Die letzten 10 Sekunden bis zum Startschuss zählten alle runter. Puff und LOS. Ehe ich ins Rennen kam, dauerte es noch einen Moment, schließlich mussten sich die Menschen erst mal alle etwas auflösen. Gemächlich lief ich los. Was ich an der Stelle schon spoilern kann: Mein Kumpel lief die ganze Zeit an meiner Seite. Das hätte er nicht gemusst, aber er hat ganz nach dem Motto: „Wir machen das zusammen“ gehandelt. Niemand lässt den anderen zurück oder gar im Stich. Das mir das später noch richtig half, hätte ich zu dem Zeitpunkt des Starts noch nicht gedacht.
Ich überquerte die Startlinie und lief an der jubelnden Menge vorbei. Ich suchte meine Familie am Rand. Da erspähte ich meinen Neffen und den Rest und winkte ihnen zu, sie winkten zurück, riefen laut meinen Namen und dass ich es schaffen würde. Jetzt gab es wohl wirklich kein zurück mehr. Da lief ich in einer riesigen Menschmasse noch höchstmotiviert. Damit die anderen Läufer und ich eine Orientierung zwecks Zeit haben, liefen Personen mit einem Zeitbanner im 15 Minutentakt mit Uhr mit. Ich erspähte die Person mit 2:15 Uhr und kämpfte mich langsam zu ihr nach vorn, bis ich sie schließlich überholte und mir einen kleinen Zeitpuffer verschaffte. Irgendwo mittig zwischen 2h und 2:15h lief ich erst mal recht locker im Schwarm. Was mir schnell klar wurde, ist die Tatsache, dass ich für mich zu warm angezogen war. Morgens war es total bewölkt, sah aus, als würde es jeden Moment regnen und der Wind war recht frisch. Pünktlich zum Lauf verzogen sich die Wolken, die Sonne kam raus und es kam nur noch vereinzelt Windböen. Das nervte mich. Ich betete vorher sowieso, dass es nicht so warm werden würde, da ich lieber bei kälteren Temperaturen lief. Das fing ja gut an, dachte ich. Ich schaffte es nicht meine Jacke ausziehen, da meine Startnummer mit Sicherheitsnadeln über dem Reißverschluss befestigt war. Nun gut, dann muss es eben so gehen. Ziemlich schnell waren bereits die ersten 5 Km rum. Ich erzählte mit meinem Kumpel eher wenig, um Kräfte zu sparen und zu bündeln. Trotzdem ist eine Sache vielleicht erwähnenswert. Als wir darüber sprachen, dass meine halben Füße getapt sind und ich am Donnerstag eine kleine „Generalprobe“ gelaufen bin du erinnerst dich an die 17 km?), drehte sich vor uns eine der Läuferinnen um. Sie fragte mich, ob ich denn verrückt sei, am Donnerstag vorher noch so eine weite Strecke zu absolvieren. Ich hätte vorher eine längere Pause nehmen sollen. – Uuuups, naja, beim nächsten Mal dann. 😅 Unterwegs kamen immer mal wieder kleine Menschengruppen, die uns Läufer anfeuerten. Ebenso gab es auch ausreichend Wasserstationen. Ich traute mich nicht unterwegs etwas zu trinken. Gefühlt kann ich beim normalen Spazieren schon nicht trinken, da wollte ich es beim Laufen gar nicht erst probieren aus Angst, ich könnte mich verschlucken. Am Anfang achtete ich noch mehr darauf, wo ich lang lief und schaute mehr nach links und rechts, sah die Menschen, wie sie sich freuten, wie sie riefen, wie sie jubelten, manche mit kleinen Instrumenten und/öder Tröten, andere klatschten… Es war ein tolles Gefühl, wenn ich ehrlich bin. Zwischendrin gab es auch immer Sportfotografen, die filmten oder Foto’s schossen. Auf Höhe der Hälfte hielt ich einmal meine Arme ganz hoch, juchte und freute mich, damit ich nicht nur angestrengt schauen würde auf den Fotos. Von meinem Gefühl her waren wir relativ schnell an der Hälfte angekommen. Ich muss zugeben, dass ich hier einmal erleichtert aufatmete und auch nochmal ein bisschen Speed drauf packte. Ich fand, ich hatte einen guten Flow. Das pushte mich und ich sah mich schon „siegessicher“ über die Ziellinie laufen. Bis zum 13. Km war alles noch recht „easy“, jedoch verlor ich hier das 1. Mal ein bisschen an Tempo. Es folgten Kilometer 14 und 15. Beim 15.Km kam zum 1. Mal das Gefühl in mir auf, ich müsse mal auf die Toilette. Davor hatte ich Angst. Ich atmete ruhig und dachte mir, dass ich jetzt anhalten und ausschwitzen müsse. Komme, was wolle.
Es folgte Kilometer 16 und was soll ich sagen? Ab hier ging’s stetig bergab. Ich spürte so langsam meine Beine, atmete schwerer und nahm noch mal Tempo raus. Während die Kilometer bisher recht gut vergingen, fühlte sich der Kilometer bis zur 17 endlos an. Ohje, so langsam stieg Angst in mir auf. Was wäre, wenn ich es nicht schaffen würde? Mein Kumpel bemerkte die Tempoveränderung. Er sprach mir Mut zu. Er sagte mir, dass ich noch laufe, während andere schon spazierten. Er sagte mir, dass alles gut ist, ich solle einfach, wenn nötig Tempo rausnehmen und tief ein und ausatmen. Ich solle den „Schmerz“ einfach weglaufen. An der nächsten Wasserstation nahm er sich einen Becher und kippte diesen über seinen Kopf. Ich hielt das für eine super Idee und tat es ihm gleich. Für ein paar Meter schien es tatsächlich zu funktionieren, da ich kurzweilig ein besseres Gefühl hatte. Die ganze Zeit hatte ich folgende Gedanken im Kopf: „Unknown nicht schlapp machen, du schaffst das. Deine Familie steht da und wartet auf dich und du möchtest sie nicht enttäuschen, sondern stolz machen. Was sollen die anderen denken, denen du es erzählt hast? Halte durch! In dir steckt mehr, als du glaubst.“ Kilometer 18 ist in Sicht und dann sind es nur noch 3Km, wobei in meinem Kopf eher ein „oh Gott, es sind IMMER noch 3 Kilometer“ stattfand. Kurz nach dem 18. Km hatte ich das Gefühl, es nicht zu schaffen. Ich sagte zu meinem Kumpel, dass ich nicht mehr kann und er redete wieder ruhig auf mich ein. Noch dazu kam ein weiteres Problem hinzu. Ihr erinnert euch an mein kleines Bedürfnis der Toilette? Dieses kleine Bedürfnis wurde so unermesslich groß, dass ich ca. Höhe des 19. Km irgendwo gehen musste, sonst würde es ein Unglück geben. Tja, aber WO? Um mich herum waren Straße, Wohnblocks/häuser und etliche Menschen, aber weder Toiletten noch Wald, Wiese oder irgendein anderes Fleckchen grün. MIST! Genau in dem Moment kam eine Seitenstraße. Ich bog hinein, aber auch hier standen die Chancen schlecht. Es standen 2 Häuser, eine Art von Reihenhäusern in dieser Straße. Beim 2ten gab es einen großen Busch, wo ich zumindest Sichtschutz hätte. Aus meiner Not heraus, sprang ich hinter den Busch und hockte mich in den kleinen Vorgarten, neben der Treppe, die zur Haustür führte. Es war mir super unangenehm, ja schon fast peinlich. Ich pullerte tatsächlich gerade in einen Vorgarten. OMG!!!!Da natürlich auch Fenster Richtung Vorgarten ausgelegt waren, hoffte ich, dass niemand rausschauen und mich sehen würde. Pro Forma brabbelte ich die ganze Zeit vor mich hin, dass es mir so leidtut, falls mich doch jemand sehen würde bzw. vielleicht das Fenster offen wäre. Als wäre das alles nicht bereits schlimm genug, bekam mir natürlich das abrupte Stoppen überhaupt nicht. Ich fing an kleine Sternchen zu sehen. Scheiße, scheiße, scheiße…. Als ich fertig war, zog ich schnell die Hose wieder hoch und wollte weiterlaufen. Doch es ging nicht. Mir war grad überhaupt nicht gut. Mein Kumpel merkte es schon und meinte, wir können ruhig kurz gehen, wenn es mir hilft. Ich wurde noch panischer, weil ich das als Aufgeben empfand. Ich schwöre dir, in diesem Moment hätte ich am liebsten geweint. Ich war so wütend und enttäuscht über mich selbst. Ich fühlte mich beschämt. Warum muss ich aber auch immer so eine große Klappen haben? Warum hätte ich nicht auf den nächsten Halbmarathon warten können? Warum hätte ich nicht einfach eher anfangen können zu trainieren? Sollte ich wirklich kurz gehen? Ich stand völlig kraftlos im Zwiespalt mit mir selbst. Mein Kumpel meinte, dass es niemanden etwas nützt, wenn nachher erst noch der Krankentransport kommen muss. Ok – Ein gutes Argument, welches ich gelten lies. Ich spazierte kurz einen Moment und versuchte den wachsenden Druck, diese negative Emotion und vor allen Dingen, die Sternchen und Kraftlosigkeit keine Überhand gewinnen zu lassen, schließlich kann man sich in sowas auch ganz wunderbar reinsteigern. Ich sagte mir immer wieder: „Ganz ruhig, nur nicht reinsteigern, atme tief und beruhige dich.“ Erneut kamen wir an einer Wassserstation vorbei ich trank 2 Becher, als hätte ich wochenlang nichts zu trinken bekommen. Ich nahm 2 weitere Becher und schüttete sie mir vorn, als auch hinten ins Gesicht, über den Kopf, in den Nacken. Ich merkte, dass ich mich fing. Nachdem ich ca. 400 – 500 Meter spaziert bin, packte mich neue Energie. Ja, dann bin ich eben mal kurz spaziert, na und? Ich kann trotzdem stolz sein, was ich bereits erreicht habe. So joggte ich also wieder los und die letzten 1,5Km dann auch wieder völlig locker und souverän.
Kurz vorm Ziel gab es wieder etliche jubelnde Menschen. Auf die letzten Meter feuerten sie alle nochmal richtig an. Natürlich entdeckte ich auch meine Familie. Sie strahlten richtig, jubelten mir zu, winkten, machten Foto’s und Videos und waren einfach happy, dass ich heil wieder zurück war. Bis zum Ziel waren es jetzt nur noch wenige Schritte. Tausend Glücksgefühle durchströmten meinen Körper und mich, als ich die Ziellinie überquerte. Ich musste natürlich noch kurz ausspazieren. Währenddessen sagte ich mir immer wieder: Atmen, Unknown atmen, …“. Während des Spazierens lief ich an mehreren Personen vorbei, die Medaillen verteilten, so nahm auch ich direkt eine mit. Mein Kumpel und ich klatschten ein und gingen dann langsam Richtung Versorgungstation. Ich gönnte mir eine Apfelschorle und ein Stück Apfel. Meine Familie erwartete mich bereits. Alle drückten sie mich und waren unfassbar stolz. Meine Schwägerin meinte, dass sie sogar Pipi’s in den Augen hatte, und meine Mama sagte mir, dass sie damit vor ihren Kollegen angeben würde. Ich hatte extra kleine Piccolo’s organisiert. Mein Kumpel sagte mir, dass ich uns wertwolle 2 bis 4 Minuten geklaut habe, zwinkerte mir zu, wir lachten und dann knallten die Sektkorken. Ende gut, alles gut. 😊
Achso: Insgesamt bin ich 2:11:51h gelaufen, hatte einen kleinen Sonnenbrand im Gesicht, habe mir einen Wolf unter den Achseln gelaufen und hatte nicht mehr Blasen als sonst unter den Füßen, am Folgetag, dafür aber Muskelkater des Todes. 😅
Danke 😊
Wie toll. Herzlichen Glückwunsch!!